In der täglichen Praxis werden wir häufig damit konfrontiert, dass auch bei vereinbarter förmlicher Abnahme im Bauvertrag von der Durchführung eines solchen Verfahrens – aus welchen Gründen auch immer – abgesehen wird.
Die Werkunternehmer sind an dieser Stelle daher ausdrücklich auf die Bedeutung der Abnahme hinzuweisen, welche nicht nur Fälligkeitsvoraussetzung für die Schlussrechnung ist. Vielmehr erfolgt erst mit der Abnahme der Gefahrübergang auf den Auftraggeber, mithin erst ab diesem Zeitpunkt geht die Vergütungsgefahr wegen des zufälligen Untergangs oder der Beschädigung und Verschlechterung der Werkleistung auf den Auftraggeber über. Erst mit der Abnahme wird das Erfüllungsstadium beendet und in das „Gewährleistungsstadium“ überführt. Der Abnahmetermin ist daher insbesondere auch wesentlich für die rechtssichere Bestimmung des Beginns und den Ablauf der vereinbarten und/oder gesetzlichen Verjährungsfrist für Mangelansprüche
In der Rechtsprechung wird die Frage einer konkludenten Abnahme, mithin durch schlüssiges Handeln/Verhalten des Auftraggebers, jedenfalls bei vereinbarter förmlicher Abnahme – wie häufig - durch Bezahlung der Schlussrechnung nicht einheitlich beurteilt. Zunehmend wird jedoch – richtigerweise – in der Bezahlung der Schlussrechnung – zumindest nach einer gewissen Prüfungszeit – ein gleichzeitiger Verzicht auf eine förmliche Abnahme und eine konkludente Abnahme durch Bezahlung der Schlussrechnung angenommen (so auch: OLG Stuttgart, Urteil vom 15.11.2011, Az. 10 U 66/10; OLG München, Urteil vom 10.22.2015, Az. 9 U 4218/14 Bau).
Mit Beschluss vom 25.03.2020 hat das Oberlandesgericht Frankfurt (13 U 198/18) die Grundsätze zur Annahme einer konkludenten Abnahme erläutert und klargestellt, dass die Parteien eines Bauvertrages übereinstimmend durch konkludentes (schlüssiges) Handeln auf die vertraglich vorgesehene förmliche Abnahme verzichten können. Ein solcher Verzicht und eine konkludente Abnahme ist nach der Entscheidung des OLG Frankfurt jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Bauleistungen nach den Vorstellungen des Auftraggebers im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt sind und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung seiner erbrachten Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht verstehen darf. Übersendet der Auftragnehmer dem Auftraggeber die Schlussrechnung und bezahlt der Auftraggeber diese nach einer angemessenen Prüfungsfrist - im entschiedenen Fall innerhalb von vier Monaten nach Beendigung der Rohbauarbeiten - vorbehaltlos und vollständig, liegt darin sowohl der Verzicht auf die vereinbarte förmliche Abnahme als auch die konkludent erklärte Abnahme.
Es ist erfreulich, dass ein weiteres Oberlandesgericht sich der zunehmend verbreiteten Rechtsmeinung angeschlossen hat. Jedenfalls nach Ablauf einer gewissen Prüfungszeit und vorbehaltloser Bezahlung der Schlussrechnung kann diese Handhabung vom Auftragnehmer nicht anders verstanden werden, als dass der Auftraggeber die Werkleistung im Wesentlichen als vertragsgerecht beurteilt und anerkennt, da dieser ansonsten Mängelrechte und/oder ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen oder sich solche bei Zahlung vorbehalten würde.
Die Unternehmer sollten die genannte Entscheidung – da eine begründete Entscheidung des Bundesgerichtshofs (mit Ausnahme eines Nichtannahmebeschlusses) bisher nicht vorliegt – keinesfalls als „Freibrief“ für die Nichtbeachtung einer vereinbarten förmlichen Abnahme verstehen. Vielmehr sollte eine solche im Regelfall auch tatsächlich durchgeführt werden. Zumindest kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt in einer Vielzahl von Fällen, in denen eine solche tatsächlich nicht erfolgt ist, hilfreich sein und zur Begründung der Fälligkeit und Durchsetzung der Werklohnforderung herangezogen werden.
H. Jürgen Bertl
Rechtsanwalt
Dipl.-Betriebswirt (FH)
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Dreher + Partner mbB