Die Infektionszahlen im Zusammenhang mit der Covid 19 Pandemie steigen derzeit wieder drastisch an. Viele Arbeitgeber überlegen sich deshalb präventive Maßnahmen, um die Belegschaft vor Ansteckungen zu schützen. Als eine dieser Maßnahmen wird derzeit diskutiert, ob ein Arbeitgeber das Recht hat, ein generelles Fiebermessen anzuordnen, bevor die Arbeitnehmer das Betriebsgelände betreten. Gleichzeitig stellt sich dann die Frage, ob und ggf. mit welchen Sanktionen ein Arbeitnehmer zu rechnen hat, falls er sich nicht an diese Weisung hält.
1. Zur Frage der Wirksamkeit der generellen Anweisung zum Fiebermessen vor Zutritt zum Betrieb
1. Grundsätzliche Zulässigkeit
Die Rechtsprechung hat sich auf Grund der Kürze der Zeit noch gar nicht zu dieser Thematik geäußert. In der juristischen Literatur ist die Frage sehr umstritten, ob es generell unzulässig ist, die Mitarbeiter anzuweisen, sich die Temperatur vor dem Zugang zum Betrieb messen zu lassen, oder ob dies zumindest unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.
Der Landesdatenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz vertritt die Auffassung, dass die Anordnung zum Fiebermessen im Betrieb generell unzulässig ist, weil es seiner Auffassung nach mildere Mittel gibt, wie bspw. die Anordnung von Homeoffice oder betriebsärztlichen Untersuchungen (zitiert nach Wünschelbaum: NZA 2020 612 – Pandemiebewältigung und Datenschutz).
Dieser Rechtsauffassung stehen aber die Grundpflichten eines Arbeitgebers nach § 3 Arbeitsschutzgesetz entgegen. Das Ziel des Arbeitsschutzes ist es, möglichst alle Arbeitnehmer vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Auch die Bundesregierung hält das Fiebermessen als Schutzmaßnahme nicht grundsätzlich für unzulässig. Bereits im April 2020 hatte das BMAS einen „Corona-Arbeitsschutzstandard“ (C-ASS) erlassen, welches technische und organisatorische Maßnahmen beschreibt, die eine Ausbreitung des Coronavirus in den Betrieben verhindern sollen. Eine der 2 allgemeinen Grundregeln lautet, dass eine Person mit Fieber sich grundsätzlich nicht auf dem Betriebsgelände aufhalten soll. Diese C-ASS wurde durch die „Corona-Arbeitsschutzregel“ (C-ASR) am 10.08.2020 konkretisiert. Diese Verordnung gilt für jeden Arbeitgeber und für jeden Arbeitnehmer. Die C-ASR befasst sich ebenfalls mit dem kontaktlosen Fiebermessen im Betrieb und führt aus, dass ein innerbetriebliches Fiebermessen arbeitsschutzrechtlich nicht erforderlich ist. Denn der Arbeitgeber soll den arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen genügen, wenn der Arbeitnehmer auffordert sich entweder ärztlich behandeln zu lassen oder der Arbeit fern zu bleiben soweit er einschlägige Symptome aufweist. Dieser Hinweis der C-ASR greift aber nicht präventiv. Außerdem ist das Fiebermessen damit auch von der C-ASR nicht untersagt.
Zwischenergebnis:
Mit der überwiegenden Auffassung der juristischen Literatur ist die generelle Anordnung zum Fiebermessen vor Betreten eines Betriebsgebäudes nicht unzulässig.
2. Konkrete Voraussetzungen
Die generelle Zulässigkeit heißt aber nicht, diese Anordnung uneingeschränkt zulässig ist. Rechtlich geht es um die Frage, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter zu überprüfen. Dabei geht es um die Abwägung der unterschiedlichen Interessen des Arbeitnehmers einerseits und des Arbeitgebers andererseits.
Der Arbeitnehmer hat ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG, die Achtung seiner Persönlichkeitsrechte und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Schutz seiner Intimsphäre.
Dem stehen auf Seiten des Arbeitgebers das Grundrecht auf eine wirtschaftliche Betätigung nach Art. 12 und 14 GG, sowie die allg. Schutzpflichten aus dem Arbeitsschutzgesetz und die Fürsorgepflichten aus § 618 BGB gegenüber.
Dieser Konflikt der wechselseitigen Interessen muss durch eine Abwägung unter Berücksichtigung des sog. Verhältnismäßigkeitsprinzips gelöst werden.
Maßgeblich dafür ist zunächst, ob das Fiebermessen überhaupt eine geeignete Maßnahme ist, um die Mitarbeiter vor einer Coronainfektion zu schützen. Schon allein das wird teilweise bezweifelt. Denn eine erhöhte Körpertemperatur muss nicht zwangsläufig auf einer Coronainfektion beruhen. Fieber ist also kein ausschließliches spezifisches Symptom für eine Covid19-Erkrankung. Gleichwohl tritt das Symptom in etwa 90 % aller Fälle auf. Das RKI hält bei Veranstaltungen ein Eingangsscreening etwa über ein Fiebermessen als eine geeignete Präventionsmaßnahme. Damit besteht eine hinreichend gesicherte Grundlage dafür, dass das Fiebermessen zur Wahrnehmung der gesetzlichen Schutzpflichten für den Arbeitgeber eine grundsätzlich geeignete Maßnahme darstellen kann.
Trotzdem besteht weitergehend die Überzeugung, dass eine anlasslose Kontrolle aller Arbeitnehmer über das Direktionsrecht nach § 106 Gewerbeordnung nicht zulässig ist. Das liegt schon daran, dass ein Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung im Betrieb erbringen muss sich der Untersuchung gar nicht entziehen kann, wenn er seine Arbeitsleistung aufnehmen möchte und der Arbeitgeber ihn ohne Bereitschaft zum Fiebermessen hiervon abhält. Das wäre ein verfassungsrechtlich nicht zulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (so auch: Fuhlrott: Arbeitsrechtliche Fragestellung im Zusammenhang mit der Coronavirus-Epidemie GWR 2020, 107 ff.).
Unter welchen Umständen eine generelle Pflicht zum Fiebermessen bejaht werden kann, hängt deshalb von der Einzelfallentscheidung ab. Dabei geht es um folgende Fragen:
- Gibt es ein milderes alternatives Mittel, welches zur Verfügung steht und das Dulden des Fiebermessens verhindern könnte? Das könnte die schon oben beschriebene Maßnahme des Homeoffices sein. Allerdings wird das Homeoffice für eine Vielzahl von Berufsgruppen schon gar nicht in Betracht kommen. Ebenfalls ein milderes Mittel wäre als organisatorische Maßnahme die Einhaltung der Abstandsregel. Kann die Abstandsregel aber nicht in allen Arbeitsbereichen sichergestellt werden, scheidet auch dies als milderes Mittel aus. Umgekehrt kann gerade das Fiebermessen einen schnellen Hinweis dafür geben, dass dieser Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt werden sollte oder eben mit anderen Personen nicht in Betracht kommt. Beides spricht dafür, dass das Fiebermessen eine geeignete Maßnahme sein kann.
- Sind im Betrieb schon mehrere Mitarbeiter mit Corona infiziert, wird dies ein Fiebermessen eher zulassen, weil dann nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich andere Mitarbeiter im Betrieb infiziert haben.
- Befindet sich der Betrieb in der Nähe eines größeren Infektionsherdes, also eines Risikogebietes oder eher in einer Region, in der es weniger Coronafälle gibt. Im letzteren Falle könnte dann das Fiebermessen wieder als generelle Maßnahme eingeschränkt sein.
- Steigt die Zahl der Coronainfizierten generell an, so dass die Pandemie insgesamt als gravierender eingestuft wird, kann auch dies die Maßnahme rechtfertigen.
3. Ergebnis
Die generelle Anordnung an die gesamte Belegschaft sich vor dem Zutritt zum Betrieb Fiebermessen lassen zu müssen ist Teil der Ausübung des Hausrechts. Gleichwohl kann dies nicht schrankenlos erfolgen. Es müssen für den Betrieb im konkreten Einzelfall bestimmte Umstände vorliegen, damit diese Anordnung zulässig ist. Da die Pandemie derzeit deutlich zunimmt und die Krankheitszahlen ein Maß einnehmen, welches wir schon kurz vor dem ersten Shut-Down hatten, dürfte dies die Anordnung rechtfertigen. Das gilt erst Techt, wenn es entweder konkrete Verdachtsfälle oder sogar konkrete Erkrankungen gibt.
2. Zustimmungspflicht eines Betriebsrats
Ist im Betrieb ein Betriebsrat gebildet, kann der Arbeitgeber das Fiebermessen als generelle Regelung nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats anordnen. Der Betriebsrat hat ein echtes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG. Es ist sowohl das Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als auch die Frage des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG betroffen. Ohne Zustimmung des Betriebsrats wäre die Anordnung unzulässig und der Arbeitnehmer müsste diese nicht beachten.
3. Datenschutz
Das Ergebnis einer Temperaturmessung unterfällt den besonderen, schutzwerten personenbezogenen Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Ziff. 15 und Art. 9 DS-GVO. Die Weitergabe und Verarbeitung dieser Daten bedarf einer besonderen Rechtfertigung oder dem ausdrücklichen Einverständnis des Arbeitnehmers. Einzelheiten hierzu müssen im konkreten Einzelfall geprüft und beachtet werden.
4. Rechtsfolge bei Weigerung eines Arbeitnehmers seine Körpertemperatur überprüfen zu lassen
Wurde das Fiebermessen im Betrieb angeordnet und war es nach den obigen Regelungen zulässig und befolgt ein Arbeitnehmer die Anordnung nicht, so ergeben sich 3 Rechtsfolgen:
- Der Arbeitgeber muss die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annehmen und kann ihm auf Grund seines Hausrechts das Betreten des Gebäudes verbieten und zwar so lange, bis er bereit ist, seine Temperatur messen zu lassen.
- Der Arbeitnehmer verletzt eine arbeitsvertragliche Nebenplicht. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer abmahnen und im Wiederholungsfall kündigen.
- Der Arbeitgeber schuldet für die Zeit, in der der Arbeitnehmer nicht arbeitet keine Vergütung und zwar solange, bis der Arbeitnehmer bereit ist, seine Temperatur messen zu lassen.
Dr. Jan Schöll
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Ravensburg